Von Selbstwert, Mappensichtungen und der Buchmesse
Ich wollte mich eigentlich schon viel früher bei euch melden, aber immer wieder kam etwas dazwischen. Durch die Arbeit an den drei Büchern ist in diesem Jahr so vieles liegen geblieben. Vor allem fehlte mir die freie Zeit mit meinen Kindern. Anfang Oktober nahm ich mir daher frei, um mit ihnen die Herbstferien zu verbringen. In den Ferien zu arbeiten ist ohnehin äußerst schwierig. Patrick und ich sind beide im Homeoffice, und wirklich konzentriert etwas zu schaffen, ist in dieser Zeit kaum möglich. Zu viele Snackteller, zu viele Gespräche, die die Arbeitszeit fragmentieren.
Dieses Mal wollte ich mich jedoch nicht zwischen Care-Arbeit und Arbeit aufreiben. Also beschloss ich, die Ferien ganz bewusst mit meinen Kindern zu verbringen. Ich übernahm die ersten zehn Tage, und Patrick die Zeit, in der ich auf der Buchmesse war. Denn ja, Buchmesse war ja auch noch.
Ich habe immer großen Respekt vor der Buchmesse. Menschenmengen haben etwas Beängstigendes, und ich bin leider nicht mit übermäßig viel Selbstbewusstsein gesegnet. Worte prallen nicht an mir ab, und Eindrücke schon gar nicht. In den letzten Jahren war ich nicht auf Messen, aber diesmal hatte ich einige Termine und wollte es wagen – auch, weil ich inzwischen durch verschiedene Projekte so viele nette Menschen kennengelernt habe, die ich dort treffen wollte.
Ich glaube, eine Verallgemeinerung ist hier angebracht, wenn ich sage: Wir Illustrierenden – und sicher auch viele Schreibende – sind im Großen und Ganzen eher introvertierte Menschen. Wir arbeiten oft allein, im Stillen, für uns selbst. Vielleicht auch, weil unsere eigenen Gedanken und inneren Gespräche oft schon so laut und verwirrend sind, dass für tatsächliche Gespräche mit anderen manchmal kaum Platz bleibt.
Ich dachte ja lange Zeit, dass alle Menschen mit sich selbst im Gespräch sind. Mein Denken funktioniert im Dialog. Mit mir, mir und noch einmal mir. Manchmal reden auch noch alle Versionen meiner selbst gleichzeitig und bringen mich völlig durcheinander. In mir tobt dann ein intensives Gespräch, während ich von außen betrachtet eigentlich nur etwas abwesend, ja, vielleicht sogar etwas verbissen auf einem Stuhl sitze. In diese inneren Dialoge mischen sich Bilder und Farben, und manchmal, gerade wenn ich schlafen möchte, rauschen ganze Filme vor meinem inneren Auge vorbei.
Erst durch viele Gespräche, und der ein oder anderen Therapiesitzung, ist mir klar geworden, dass das Denken nicht bei allen Menschen so eine wilde Fahrt ist. Viele führen gar keine Gespräche mit sich selbst. Unvorstellbar, ich weiß.
Nun aber zurück zur Messe. Ich möchte es gar nicht beschönigen. Es war genauso stressig, wie ich befürchtet hatte – und natürlich gleichzeitig viel schöner, als ich geahnt habe. Ich scheue manchmal den Kontakt, aber wisst ihr was? Es ist wirklich schön, Menschen zu treffen, die ähnlich arbeiten und ähnliche Erfahrungen im Alltag machen. Gerade in Zeiten von Social Media und gesellschaftlichem Umbruch war es heilsam zu sehen, dass doch nicht alle ihren moralischen Kompass über Bord geworfen haben. Viele sind erstaunlich empathisch und sozial kompetent.
Und was könnte ich nun erzählen, das für euch spannend ist? Genau diese Frage hat mich bisher davon abgehalten, über den Oktober zu schreiben. Vermutlich habe ich gar nichts besonders zu berichten.
Es gab überraschend viele KI-generierte Cover zu sehen und einige sehr fragile Egos, die – aus Hilflosigkeit oder Angst – verbal um sich schlugen. Ja, so kann man es wohl sagen. Aber die meisten Menschen und Verlage waren unglaublich sympathisch.
Der größte Groll, der im spürbar blieb, war wohl der altbekannte: die allgemeine Abwertung von Illustratorinnen und Illustratoren. Denn ihr müsst wissen, die Buch- und Messepreise gewinnen oft die Schreibenden, auch in der Kinderliteratur. Dabei wird ein Bilderbuch in vielen Fällen auch durch die Bilder getragen. Trotzdem gehen die Illustrierenden oft leer aus oder sind darauf angewiesen, dass die Autorinnen und Autoren ihren Gewinn mit ihnen teilen. Auch in Gesprächen war diese Haltung spürbar. Ich wurde mehrfach gefragt, ob ich „nur“ illustriere oder auch schreibe.
Ich weiß nicht, ob sich diese Einstellung jemals ändern wird. Seit dem Aufkommen von KI und dem massenhaften Zugriff auf kreative Daten vermutlich nicht so schnell, da der Wert künstlerischer Arbeit dadurch noch weiter relativiert wurde. Ein Satz, ein Prompt – und schon kann theoretisch jede*r illustrieren. ….so heißt es…
Ich glaube, für Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl wirkt die Welt oft größer und gefährlicher, als sie wirklich ist. Umso wichtiger ist es, das eigene Bild von sich selbst zu stärken, um der Welt aufrecht und auf Augenhöhe zu begegnen. Und obwohl ich das weiß, obwohl mir die Theorie vertraut ist und ich genau durchschaue, was in mir passiert, habe ich mich nicht getraut, mich in eine der Schlangen für Mappensichtungen zu stellen. Diese endlosen Reihen von Illustrierenden wirken auf mich einschüchternd, fast übermächtig.
Gleichzeitig frage ich mich, wo eigentlich die Schlangen der Schreibenden sind. Denn es ist doch ein deutliches, visuelles Zeichen, das da gesetzt wird: Schaut, so viele wollen einen Auftrag bei uns ergattern – sei dankbar, wenn du dazugehören darfst. Ich weiß, dass das sicher nicht so gemeint ist, und doch lese ich es genau so. Und dann stehe ich da, mitten im Gewimmel, und fühle mich winzig klein mit Hut.
Hier würde mich auch eure Sicht interessieren: Kennt ihr Mappensichtungen? Habt ihr selbst schon einmal teilgenommen? Wie steht ihr zu dieser Praxis und wie fühlt sie sich für euch an? Soweit ich das sehe, wird dieses System kaum hinterfragt. Es gibt zahlreiche Kurse und Schulungen, die zeigen, wie man am besten damit umgeht. Und ja, es ist wichtig, über die eigenen Arbeiten zu sprechen und sich Rückmeldung zu holen – aber muss das im Rahmen einer Bewerbung stattfinden?
Schließlich hat heute jede Illustratorin und jeder Illustrator eine Website, ein Online-Portfolio, über das sich Verlage ein gutes Bild machen können. Muss es also wirklich diese eindrucksvolle, einschüchternde Schlange sein, mitten im hektischen Trubel einer Messe? Und wie viele Aufträge werden auf Grundlage dieser Sichtungen überhaupt im Nachhinein vergeben?
Mit 19 habe ich mich an mehreren Hochschulen beworben, für jede eine Mappe angefertigt und überall Prüfungen abgelegt. Auch im Studium hörten die Mappensichtungen nicht auf – sieben Jahre lang habe ich regelmäßig mit Professoren und Kommilitoninnen meine Arbeiten besprochen, wöchentlich, manchmal täglich. Vielleicht war da irgendwann der Wunsch gewachsen, nicht mehr in einer Schlange zu stehen und darauf zu warten, bewertet und manchmal auch abgewertet zu werden.
Ich traue mich nicht mehr. Ich sehe die nervösen Illustrierenden, wie sie am Bildschirm noch einmal ihre Arbeiten prüfen – und diese Arbeiten sind im Großen und Ganzen wirklich beeindruckend. Wenn ich an der Reihe wäre, müsste ich mich vermutlich zurückhalten, um den Mappenbetrachtenden nicht zu sagen, wen aus der Schlange sie lieber nehmen sollten. Und dass ich einem gewaltigen Selbstbetrug aufgesessen bin, weil meine Hybris mich überhaupt hergeführt hat.
Da mein innerer Dialog – und mein inneres Kino – dieses Szenario ohnehin schon in allen Details durchgespielt hatten, verbrachte ich meine Zeit lieber damit, mir Neuerscheinungen anzusehen. Und mich zu erschrecken, wie viel Geld man für Bücher ausgeben kann. Dreimal lief ich zum Coppenrath-Stand und blätterte durch die wunderschöne Neuauflage von Frankenstein. Aber 38 Euro sind für mich spontan nicht einfach machbar. Für ein Buch, das ich eigentlich schon habe – nur in schön. In wirklich sehr schön. So schön, dass es vielleicht tatsächlich 38 Euro wert ist, aber leider trotzdem außerhalb meines Messebudgets liegt. Und so stand ich da, im Strudel meiner Gedanken, auf einer Messe einer Branche, die mir immer schon ein bisschen zu groß für mich selbst und zu klein im allgemeinen vorkam.
Nach drei Tagen war ich dann so erkältet, dass ich mit Fieber aufwachte. Fieber von einem Atemwegsinfekt – und ein bisschen auch von Überforderung. Impostor-Syndrom und Messe, das verträgt sich einfach nicht. Aber ich möchte es trotzdem nicht missen, all diese netten Menschen getroffen zu haben. Sicher komme ich wieder.