Kürbisgift und Hexensaft
Kürbisgift und Hexensaft
Aus dem Newsletterarchiv Oktober | 01
Nun ist es richtig Herbst. Für mich bedeutet das oft ein Aufatmen und Zur-Ruhe-Kommen nach den extrovertierten Sommermonaten. Gleichzeitig ist der Herbst auch vage und flüchtig. Die Vegetation verändert sich so schnell, dass es schwierig ist, den Moment festzuhalten. Fotografien, die ich gerade noch vom Garten gemacht habe verlieren am nächsten Tag schon ihre Gültigkeit, weil sich alles verändert hat. Unentschlossen verändert. An einem Tag ist alles braun und am nächsten kommt die Sonne nochmals hervor und mit ihr ein plötzliches Aufblühen schon längst verwelkt geglaubter Pflanzen.
Auch die Fülle der Ernte in den frühen Herbsttagen steht im Kontrast zum weniger werden der Vegetation. Kurz hält der Sommer in den Kisten voller Äpfel, Kartoffeln und Kürbisse im Keller noch an, doch ich muss ehrlich sein, schon Ende Oktober ist alles aufgebraucht. Dann haben wir das meiste bereits verarbeitet oder gegessen, und nur das Saatgut in kleinen Tütchen erinnert noch an die warmen Tage, die Farben und das Licht.
Der Kürbis ist die letzte Ernte. Noch liegt er kräftig, aber grün draußen, und erst sehr spät färbt er sich in ein sattes Ocker-Orange – zumindest bei der Sorte, die ich dieses Jahr angebaut habe. (Siehe unten im Abschnitt “Im Garten”)
Kürbisgewächse sind eine große Familie von Pflanzen, die massige Früchte ausbilden und beim kleinsten Frost sofort absterben. In meiner Jugend interessierten sie mich nicht im geringsten.
Weder der Geschmack von Gurken, Kürbissen oder Melonen konnte mich begeistern, noch spielte die Verarbeitung dieser Früchte in meiner Familie eine Rolle.
Das erste Mal, dass Kürbisse meine Aufmerksamkeit weckten, war, als eine Bekannte meiner Großmutter beim Mittagessen berichtete, dass eine Gartennachbarin wegen einer Kürbisvergiftung im Krankenhaus lag.
„Die Hilde liegt immer noch im Krankenhaus wegen der Kürbisse“, erzählte sie beiläufig, und meine Großmutter erwiderte mit einem wissenden Nicken: „Hat sie etwa schon wieder Kürbisse aus eigener Saat gezogen?“
Zwar wusste ich bereits, dass es für ein langes Leben essenziell ist, Giftstoffe zu vermeiden. Doch wie sollte ich das schaffen, wenn mir nicht einmal die Gefahr eines gewöhnlichen Kürbisses bewusst war?
Ich fragte meine Großmutter und erfuhr, dass es neben essbaren auch giftige Zierkürbisse gibt. Wenn diese sich etwa durch Bienen bestäuben (spontane Mutation funktioniert aber auch), können die Nachkommen giftige Eigenschaften annehmen.
Dieser Moment ließ meine Fantasie aufblühen. Ich stellte mir Geschichten vor – Krimis, Horrorgeschichten, Zauberei und Hexenkunst – die von giftigen Kürbissen und ihren unheimlichen Wirkungen handelten. Doch wie so oft im Leben, geriet all das schnell in Vergessenheit. Bis heute ist dieser Newsletter der einzige Text, den ich über die verborgene Gefahr von Kürbissen geschrieben habe. Was für eine verschwendete Gelegenheit.
Nun mit eigenem Garten und der Entdeckung neuer Zubereitungstechniken, die weit über Kürbissuppe und Gurkensalat hinausgehen, habe ich begonnen, Kürbisgewächse wirklich zu schätzen. So zu schätzen, dass ich sie nicht nur anbaue sondern auch diesen Monat in meine Illustration mit einbauen möchte.
Ich habe mir und euch ein paar Kinderbücher ausgesucht, die Kürbisse zeigen, aber auch solche – weil ja auch Halloween ist – die einen Gruselfaktor für Kleine mitbringen. Denn lustigerweise sind es gerade die gruseligen Kinderbücher, die ich sehr mag, obwohl ich zum Beispiel nie Krimis, geschweige denn Horrorfilme schaue.
Kürbisse haben nicht nur in der Küche, sondern auch in Kunst und Kultur eine tiefere Bedeutung. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die japanische Künstlerin Yayoi Kusama, die in ihrer berühmten „Pumpkin“-Serie den Kürbis zum zentralen Symbol erhoben hat. Kusama verbindet den Kürbis mit ihrer Kindheit und nutzt ihn, um Themen wie Wiederholung, Muster und Unendlichkeit zu erforschen. Ihre überdimensionalen Kürbisskulpturen, oft mit einem Netz von Punkten verziert, sind weltweit zu Ikonen geworden.
Wikipedia ©CC BY-SA 4.0 Kürbis in der Sherbrooke Street Montreal
All zu lange spielt der Kürbis aber noch keine Rolle in der Kunst. In den niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts etwa findet der Kürbis nur selten Erwähnung, da die Frucht zwar schon importiert und angebaut wurde aber noch als ungenießbar galt. Die enthaltenen Bitterstoffe warnen vor der möglichen Giftigkeit. Erst später wurde der Kürbis kultiviert und zu einem genießbaren Nahrungsmittel und fand dann auch erst Einzug in die Stilllebenmalerei . Zum Beispiel bei der Künstlerin Paula Modersohn-Becker.
Somit ist der Kürbis weniger ein Motiv der klassischen Malerei, sondern vielmehr ein modernes Symbol, das durch popkulturelle Bräuche rund um Halloween – insbesondere durch Film und Fernsehen – an Popularität gewonnen hat.