Reflektiertes Arbeiten – Durchdachte Illustrationen
Reflektiertes Arbeiten
Aus dem Newsletterarchin Januar | 04
Reflektiertes Arbeiten – Durchdachte Illustrationen
Bin ich aufgewühlt, beginne ich, Dinge – vor allem mich selbst – infrage zu stellen. Es fühlt sich an, als würde das Gewässer meiner Identität in heftigen Tumult geraten: Die Wellen schlagen hoch und wild, erreichen selbst die entlegensten Regionen und setzen alles in Bewegung. Dieser Unruhe kann ich mich nicht entziehen. Bin ich in einem Bereich aufgewühlt, betrifft es früher oder später alle Bereiche meines Lebens. So erfasste der Sturm meiner inneren Erregung schließlich auch meine Arbeit, mein Portfolio, mein Tun.
Plötzlich verspürte ich den dringenden Wunsch, mir meiner Arbeit bewusster zu werden. Ich wollte verstehen, warum ich tat, was ich tat, und diesen Prozess reflektiert und durchdacht nutzen, um gestärkt daraus hervorzugehen – als Illustratorin, als Mensch.
Denn irgendetwas konnte ja nicht stimmen. Meine Auftragslage ist seit Monaten mau, und meine Zuversicht schwindet, ohne dass ich genau begreife, woran es liegen könnte.
Da ich den Markt und die Branche nicht einfach zu meinen Gunsten verändern kann, blieb mir nur eine Schlussfolgerung: Ich musste bei mir selbst beginnen. Denn so ist es meistens, Zweifel keimen, und je länger man sie vor sich herschiebt, desto mehr verfestigen sie sich, bis sie zur Gewissheit werden, dass absolut alles falsch ist. Am Ende blieb da nur ein quälender Gedanke: Ich kann das gar nicht. Jedes Kinderbuchprojekt würde mich sicher überfordern!!!111 Ganz bestimmt!!!111
In den Instagram-Lives, an denen ich im November teilgenommen hatte – alle zum Thema KI – fiel immer wieder eine subtile, aber deutliche Aussage: „Wer illustriert denn noch analog?“ Eine Teilnehmerin meinte sogar: „Analog, das macht doch kaum noch jemand, ich wüsste nicht, wer so noch arbeitet.“
Auch wenn es selbstverständlich noch zahlreiche Illustrator*innen gibt, die mit traditionellen Medien wie Stift, Pinsel und Papier arbeiten, hallte diese Aussage in mir nach. Analog zu arbeiten war für mich eine bewusste Entscheidung, aus persönlichen und künstlerischen Gründen. Eine Entscheidung, die keiner Rechtfertigung bedarf. Dennoch möchte ich näher darauf eingehen – nicht zuletzt, um meine eigenen Zweifel zu besänftigen.
Warum analog?
Wenn ihr zeichnen oder malen möchtet, könnt ihr das medienübergreifend tun, mit den Werkzeugen, die euch gefallen oder zur Verfügung stehen. Ihr habt die Freiheit, euch auf den Prozess zu konzentrieren oder ergebnisorientiert zu arbeiten. Es gibt kein „besser“ oder „schlechter“ zwischen den Techniken – sie sind einfach unterschiedlich.
Anfangs habe ich viel digital gezeichnet, weil das mit einem Baby und Kleinkind die praktischste Lösung war. Ich konnte nur abends arbeiten und hatte weder Raum noch Platz für Farben und Papier. Ein Wasserglas wäre umgekippt, frische Farben verschmiert worden. Chaos war vorprogrammiert. Ein iPad und Procreate boten mir die Möglichkeit, kreativ zu bleiben, wofür ich sehr dankbar war.
Mit mehr Zeit und Raum begann ich jedoch zu reflektieren, wie ich eigentlich arbeiten wollte. Ich studierte Kinderbücher, um zu verstehen, warum mich manche Illustrationen ansprachen und andere nicht. Schnell wurde mir klar, dass mich die Ästhetik und Textur analoger Arbeiten besonders berührte. Die Tiefe und Unregelmäßigkeiten, die durch das händische Arbeiten entstehen, gefielen mir einfach besser.
Der eigenen Ästhetik Raum geben
Digitales Arbeiten bietet viele Vorteile: Änderungen rückgängig machen, mit Ebenen arbeiten, Farben anpassen oder ins kleinste Detail heranzoomen, all das erleichtert den Prozess. Doch diese schier endlosen Möglichkeiten machten es mir schwer, Entscheidungen zu treffen und ein Bild konsequent fertigzustellen.
Besonders in meiner Freizeit, wenn ich Landschaften male, fiel mir auf, dass mich digital erzeugte Landschaften oft weniger überzeugten. Bei Bäumen und Pflanzen wirkten analoge Ergebnisse lebendiger. Digitale Illustrationen nutzen oft visuelle Abkürzungen: vorgefertigte Pinsel und Muster, etwa Haarpinsel für Haare oder Blätterpinsel für Bäume. Ohne bewusste Entscheidungen können diese Vereinfachungen jedoch beliebig wirken.
Illustrationen arbeiten mit Abstraktionen, um Geschichten zu erzählen, nicht um fotorealistisch zu sein. Doch welche Elemente vereinfacht und welche ausgearbeitet werden, ist eine bewusste Entscheidung. Beim analogen Arbeiten müssen solche Entscheidungen sorgfältig getroffen werden.
Giuseppe Castellano, Art Director im Bereich Kinderbücher, nennt dieses Prinzip Thoughtfulness – Sorgfalt und Bedachtheit. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit von Quentin Blake: Schon die Fußstellung eines Charakters verleiht einer Illustration Lebendigkeit und Ausdruck.
Warum Sorgfalt entscheidend ist
Sorgfältiges Arbeiten bedeutet nicht, kleinteilig zu sein. Ein Bild kann trotz vieler Details beliebig wirken, während eine schlichte Illustration durchdacht und harmonisch sein kann. Leider geht diese Sorgfalt zunehmend verloren, besonders in kommerziellen Projekten. Zeitdruck und mangelnde ästhetische Bildung tragen dazu bei, dass viele Arbeiten oberflächlich wirken.
Ich denke, dass der Einsatz von KI diesen Prozess beschleunigen wird. Zwar wird oft argumentiert, dass das Schreiben von Prompts ebenfalls Arbeit sei und die Ergebnisse auf den Ideen der Nutzer*innen basierten. Doch ein durchdachtes Arbeiten, das den Prozess bewusst gestaltet, ist mit KI derzeit kaum möglich. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun wird oft ausgelassen.
Das ist keine Fundamentalkritik. Ich möchte niemandem im Weg stehen, der neue kreative Ausdrucksformen sucht. Doch egal, welches Werkzeug ihr nutzt: Es ist wichtig, durchdacht zu arbeiten und eure Entscheidungen bewusst zu treffen. Ohne diese Auseinandersetzung mit eurer visuellen Sprache und Ästhetik landet man schnell im Kitsch oder in der Beliebigkeit.
Kreativität bedeutet nicht unbedingt intuitiv zu handeln und das Motiv geschehen zu lassen, es kann ebenso bedeuten Entscheidungen bewusst zu treffen. Sorgfältiges Arbeiten - ob digital oder analog – gibt eurer Kunst Tiefe, Aussagekraft und Individualität. Lasst euch nicht von Abkürzungen verführen, sondern hinterfragt eure Motive und euren Prozess. Denn nur so entstehen Illustrationen, die wirklich berühren.
Eure Meinung zu dem Thema interessiert mich, lasst sie mich gerne per Mail oder auf Instagram wissen.