Kreativ zweifeln - Im Gespräch mit Michael Mantel

Zwischen Selbstzweifel und Schaffenskraft: Interviews über die Kunst, an sich selbst zu glauben.


Kreative arbeiten oft allein – nicht nur im Schaffensprozess, sondern auch bei Akquise und Selbstvermarktung. In einem sich ständig wandelnden, konkurrenzstarken Markt kann das ganz schön herausfordernd sein. Druck und Zweifel? Die kennt wohl jede:r.

Mit meinem neuen Interview-Newsletter „Kreativ zweifeln“ möchte ich genau darüber sprechen. Ich stelle regelmäßig Kreative vor und frage sie nach ihren Zweifeln, ihren Antrieben und ihrem Umgang mit Herausforderungen. Denn eines ist sicher: Wir sind nicht allein.


Im Gespräch mit Michael Mantel

Kurzer Steckbrief:

Michael Mantel ist Illustrator und Autor, vielen vor allem durch seine Kinderbuchreihe „Unterholz-Ninjas“ bekannt. Ich habe ihn kennengelernt, als er sich aktiv gegen generative KI im Kreativbereich einsetzte. Schnell wurde er zu einer kritischen, aber auch sehr reflektierten Stimme, die sich ebenso mit den Arbeitsbedingungen für Illustrierende sowie den Bewertungsmechanismen und Ranking von Büchern bei Amazon auseinandersetzte.

Doch Michael startete seine Karriere nicht direkt als Illustrator. Nach seinem Studium in Kommunikationsdesign an der htk in Hamburg arbeitete er zunächst bei der Werbeagentur Kolle Rebbe. Ab 2002 zog es ihn dann zu Ambient Entertainment in Hannover, wo er als Storyboard-Zeichner an Filmen wie „Urmel aus dem Eis“ und „Die Konferenz der Tiere“ mitwirkte.

2003 wagte Michael den Schritt in die Selbstständigkeit. Er illustrierte für Werbeagenturen und übernahm Aufträge für internationale Magazine und Zeitungen.

Mit der Geburt seines Sohnes 2009 und seiner Tochter 2018 wuchs der Wunsch, Kinderbücher zu illustrieren – ein Traum, der 2022 mit dem Bilderbuch „Glaube niemals einem Raben“ von Brigitte Endres Wirklichkeit wurde. 2023 folgte „Der Zauberfüller“ von Annette Langen, und 2024 startete seine eigene Kinderbuchreihe „Unterholz-Ninjas“ bei Ravensburger.

Abseits des Zeichnens liebt Michael die Natur – sei es beim Spazieren, Kanu fahren oder in seinem naturnahen Garten. Zudem organisiert er jedes Jahr ein großes Sommerzeltlager für Kinder. Früher spielte er leidenschaftlich Gitarre, doch diese Leidenschaft ist inzwischen zugunsten von Familie und Natur in den Hintergrund gerückt.


Michaels Arbeit verfolge ich schon seit Längerem und freue mich, einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen und ihn besser kennenzulernen.

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Wie bist du Illustrator geworden? War das schon immer dein Traum oder hat sich dieser Weg erst später entwickelt?

Schon als Kind habe ich Menschen bewundert, die gut zeichnen konnten. Den Beruf des Illustrators kannte ich lange nicht, zumal er damals noch nicht als eigenständiger Studiengang angeboten wurde. Es gab Kunst oder Grafikdesign, aber Kunst erschien mir zu „weltfremd“ – ich wollte etwas machen, das im Alltag nützlich ist. Im Studium entdeckte ich dann die Werbung, die damals voller kreativer Ideen und spannender Menschen war.

Was inspiriert dich in deinem kreativen Alltag?

Inspiration kann überall lauern, meistens kommt sie aber, wenn man sie nicht erwartet. Wichtig ist es, sich mit einem Thema von vielen Seiten auseinanderzusetzen, sodass das Gehirn im Hintergrund arbeitet und die Ideen irgendwann „ploppen“. Besonders gerne gehe ich auf ausgedehnte Spaziergänge, bei denen ich keine Musik oder Podcasts höre.

Wie sieht dein Arbeitsprozess aus, wenn du ein neues Projekt beginnst – sei es ein Auftrag oder ein eigenes Herzensprojekt?

Ich versuche Anfangs immer, mich so wenig wie möglich einzuschränken. Das Briefing schaue ich mir meist erst im zweiten Schritt richtig an. Ich mache mir ziemlich viele Notizen, egal wie nah die am Thema sind. Es hilft, die Synapsen auf Touren zu bringen. Danach kommt die Recherche, die heute viel online stattfindet, aber auch über Gespräche, Bücher usw. Am schönsten sind die ersten Ideen und Skizzen. Etwas neues anzufangen, ist immer wahnsinnig aufregend.

Mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?

Ich hätte gerne ein großes Atelier mit viel Platz zum herumsauen. Und tatsächlich möchte ich auch wieder mehr analog machen. Das ist aber gerade nur ein Wunsch, denn außer ein paar Bleistiftzkizzen arbeite ich überwiegend digital am großen Zeichenbildschirm. Aber je mehr die Technik ins Leben rückt, desto mehr wächst in mir auch der Wunsch, wieder mehr analog auszuprobieren. Ein weiterer Punkt ist, dass einem einfach die Original fehlen.

Manchmal wird auch der Esstisch zum Arbeitsplatz

Welche Herausforderungen begegnest du bei der visuellen Umsetzung von Themen?

Ganz reibungslos läuft es selten. Tatsächlich würde ich mir aber oft eher mehr Reibung wünschen. In der deutschen Kinderbuchbranche arbeiten überwiegend Menschen, die vom Text kommen. Es fehlt eindeutig ein Bildlektorat. So rutschen meine Illustrationen meist durch, ohne viel „Gegenwehr“. Das liegt auch daran, das man irgendwann die Problemzonen kennt. Zum Beispiel, dass Figuren möglichst nicht in den Bund geraten sollten, also den Bereich, wo das Buch gebunden ist und die Seiten zusammentreffen. Auf so etwas „technisches“ wird natürlich geachtet, und das inhaltlich alles richtig ist, zum text passt usw. Ansonsten habe ich oft Narrenfreiheit. 

Arbeitest du lieber allein oder suchst du den kreativen Austausch mit anderen?

Ich arbeite meist allein, da ich von zu Hause aus arbeite. In der Ideenphase hilft es mir jedoch sehr, mit anderen darüber zu sprechen – das beschleunigt den Prozess. Ich tausche mich gerne mit Kolleg:innen aus der Branche oder Freund:innen aus.

Wie gehst du mit der Aufgabe um, dich selbst und deine Arbeit zu vermarkten?

Puh, schwieriges Thema. Ich vermarkte mich viel zu wenig, denke ich oft.. Immerhin bespiele ich meine Website einigermaßen regelmäßig und bin auf Instagram (demnächst anderswo, wahrscheinlich im Bluesky-Netzwerk)  unterwegs. Aber aktive Akquise mache ich viel zu selten. Meistens kommen auch so immer mehr Anfragen, als ich bewältigen kann. Aber aus finanzieller Sicht ist das nicht besonders schlau, denn ich brauche ja gewisse Jobs, die meine Arbeit finanzieren. Und dafür müsste ich aktiver sein. Leider fehlt oft die Zeit, was ja irgendwie paradox ist.

Hast du Strategien, um dich nicht von der Konkurrenz einschüchtern zu lassen?

Das schöne im Illustrationsbereich ist, dass ich hier noch nie eine große Konkurrenz empfunden habe. Alle gehen sehr kollegial miteinander um. Man hilft sich gerne, und wer fragt, bekommt auch Antworten. Aber es gibt natürlich eine Art „hausgemachten“ Konkurrenzdruck. Das liegt daran, das man sich ja ständig mit anderen vergleicht. Und in Zeiten des Internets entdeckt man natürlich laufend zig Leute, die „besser“ sind. Allerdings habe ich mich davon weitestgehend frei gemacht. Denn die Leute, die „perfekt zeichnen“ können, sind mit ihrem Stil auch nicht immer gefragt, vor allem nicht im Kinderbuch. Es ist wichtig, die eigenen Stärken zu kennen und auszubauen.

Kennst auch du Momenten der Einsamkeit oder kreativen Zweifeln?

Das kenne ich natürlich auch. Das „alleine arbeiten“ ist die beste Voraussetzung für eine Depression, zumal als kreativer Mensch. Mir macht das oft zu schaffen, auch wenn das natürlich selten nach außen dringt. Es hilft, sich nicht ins Schneckenhaus zu verkriechen, also mit Leuten zu sprechen und sich zu verabreden, aber das ist leichter gesagt als getan. Meine Kinder helfen mir, klarzukommen. Sie haben so eine befreite Sicht auf die Welt und ganz andere Sorgen als ich. Tatsächlich hilft mir das. Motivationsprobleme habe ich eher selten. Kreativen Zweifel natürlich immer wieder mal, da hilft mir, mir meine Entwicklung anzuschauen. Die Bilder von früher, die zum Teil echt schäbig waren. Sage ich heute ;)

Gab es Momente, in denen du darüber nachgedacht hast, deine kreative Arbeit aufzugeben?

Gerade ist so eine Zeit. Das Aufkommen von KI, schlechte Honorare, die Weltlage, das ist schon übel. Aber meine Reaktion ist eher, für uns Illustrator:innen zu kämpfen. Und da es uns allen und er Branche so geht, ist das ein guter Zeitpunkt, gemeinsam zu kämpfen. Zum Glück sehen das einige ähnlich. Und außerdem kann ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Kreativbranche?

Ich wünsche mir, dass die Leute, die „Nicht-Kreativen“ Menschen kapieren, wie wichtig kreative Arbeit für unsere Gesellschaft ist. Und das das Heil nicht in Apps und digitalen Welten zu finden ist, sondern im echten Leben. Ich hoffe auf eine starke Gegenbewegung zu KI und dem Blabla der Tech-Gurus. Aber am Ende ist es wichtig, dass kreative Arbeit genauso gut bezahlt wird wie die Jobs anderer.

Gibt es ein Projekt oder eine Idee, die du gerne umsetzen würdest, dich aber bisher nicht getraut hast?

Es gibt ein Projekt, das nichts mit Illustration zu tun hat, bei dem es darum geht, unsere Umgebung für Familien durch Erlebnispfade attraktiver zu machen. Da arbeite ich bereits im Team. Ansonsten bleibt vieles noch im Verborgenen.

Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Kreativen für dich?

Der Austausch ist super wichtig! Besonders in den letzten Monaten, vor allem im Hinblick auf die Diskussion um KI. Aber da Meta immer fragwürdiger wird, sehe ich Instagram nicht mehr als langfristige Plattform. Dennoch wird es immer eine neue Möglichkeit geben, sich zu vernetzen. Der Kongress „Bunte Hunte“ in Buxtehude war 2023 und 2024 ein tolles Beispiel für kreativen Austausch im echten Leben.

Wie gehst du mit Kritik um, wenn sie kommt?

Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht persönlich angegriffen fühle. Wenn Kritik schriftlich kommt, lese ich es mir durch und lass es dann erstmal liegen. Mit sachlicher, konstruktiver Kritik kann ich gut umgehen. Schwierig wird es, wenn ich Punkte nicht nachvollziehen kann und denke, dass ich gute Gründe dafür habe. Manchmal muss man dann einfach sagen: Okay, es ist deren Projekt, sollen sie auch entscheiden. Wenn es um meine eigenen Bücher geht, setzte ich da schon mehr nach, aber bislang hat das immer gut gelappt.

Ist dir Feedback dennoch wichtig für deiner Arbeit?

Sehr. Ich bin zwar durchaus selbstkritisch, aber die Meinung andere (kompetenter) Menschen ist mir sehr wichtig. Es ist gar nicht so leicht, Leute zu finden, die einem da weiterhelfen können. Es nützt mir ja auch nichts, wenn jemand grundsätzlich alles super findet. Und bildkompetente Menschen zu finden, ist außerhalb der Branche sehr schwierig.

Wenn du ein Visionboard für die nächsten fünf Jahre erstellen könntest: Wo siehst du dich und deine Arbeit in dieser Zeit?

Ich plane nicht so weit, aber ich hoffe, dass ich weiterhin Bücher schreiben kann. Die „Unterholz-Ninjas“ haben mir viel Spaß gemacht, aber ich würde auch gerne etwas Schrilleres schreiben und vielleicht auch weitere Bilderbücher entwickeln – wenn es finanziell möglich ist.

 Nimmst du noch regelmäßig an Mappenkursen oder anderen Feedbackrunden teil? Falls nicht, wäre das etwas, worauf du Lust hättest?

Aktuell fast gar nicht. Wäre aber schon schön. Ja, hätte ich Lust drauf, könnte sehr inspirierend sein.

Hast du Vorbilder oder Kreative, die dich besonders inspirieren?

Es gibt so viele tolle Künstler:innen! Besonders inspiriert mich die Arbeit von Mark Janssen, Adam Stower, Briony May Smith, Benji Davies, Sandra Brandstätter und Wiebke Rauers. Es sind oft die Farben, die Art der Figuren oder die Lockerheit des Zeichenstils, die mich ansprechen.

Wenn ihr mehr von Michaels Arbeit sehen wollt, schaut auf seiner Website vorbei:
www.michaelmantel.de

Ihr findet ihn auch auf Social Media:

Instagram (derzeit noch): @mantel.illustration

Bluesky: @michaelmantel.bsky.social