Zwischenzeitlich

Immer wieder sind da diese Tränen. Zu sagen, sie kämen aus dem Nichts, wäre eine maßlose Übertreibung. Sie kommen, wenn etwas mich berührt, wenn Emotionen angestoßen werden – aber sie kommen häufiger und heftiger als je zuvor. Tränen beim Vorlesen von Kinderbüchern, Tränen über Zeitungsartikel, Tränen bei Musik. Als würde der Alltag, das Aushalten all dessen, was unaussprechlich ist, einen Druck aufbauen, der sich beim kleinsten Ventil entlädt.

Ich halte meine eigene Angst und Verunsicherung auch auf Abstand. Lasse mich nicht ganz auf sie ein, sondern wähle immer wieder den Weg der Ablenkung, der kleinen Umwege. Denn würde ich loslassen, mich ganz hineingleiten lassen in all das, was gefühlt werden will, hätte ich Angst, nicht wieder herauszufinden. So ist es gerade.

Und doch gibt es diese Momente der Ruhe. Vorhin saß ich zum Beispiel im Garten, die Sonne im Gesicht, umgeben von den Geräuschen des Frühlings. Und in diesem Moment wusste ich, dass es gerade gut ist. Dass es so sein darf. Jetzt ist es gut, flüsterte ich – und es war alles, was ich hatte und alles, was ich wollte. Jetzt ist es gut. Morgen, in einer Stunde – wer weiß das schon? Aber für das Gute im Jetzt offen bleiben, sich weich machen, es lieb halten – das kann ich. Und das tue ich. Ein stiller, revolutionärer Akt gegen die Angst und das Erschrecken.

Es ist nicht einfach – ja, das gebe ich zu. Oft dringt von außen der Lärm der sozialen Medien und Nachrichten an mich heran und macht mich unruhig. Was einst verheißungsvoll und einladend wirkte, ist nun kaum noch zu ertragen. Die Sprachlosen haben Lücken hinterlassen, und gefüllt werden sie von einem einstimmigen, selbstgerechten, auf Aufmerksamkeit gierenden Lärm. Dort, wo die eigene Existenz zum einzigen Inhalt wird und nichts mehr außerhalb der eigenen Identität gedacht oder gesagt werden kann. Wo mit Marktschreier-Mentalität selbst Aktivismus zur Inszenierung verkommt.

Es ist die Abwesenheit von Stille, von Innehalten, die hier so spürbar wird. Doch wie soll man die Kostbarkeit eines Moments begreifen, wenn er nur zählt, solange er sich konsumieren lässt? Wie Menschlichkeit finden, wo das System Egoismus belohnt? Und doch – abseits dieses Lärms gibt es sie noch: die leisen, echten Begegnungen. Die Worte, die nicht für ein Publikum gesprochen werden, sondern von Herz zu Herz. Die Momente, die keinem Zweck dienen, außer da zu sein. Vielleicht sind sie seltener geworden, vielleicht muss man bewusster nach ihnen suchen – aber sie sind da. Und solange ich ihnen Raum gebe, solange ich mich für sie öffne, bleibt die Hoffnung, dass das Wahre nicht verloren geht. Dass es sich immer wieder findet – zwischen all dem Lauten, zwischen all den Tränen. In einem Lächeln, in einer Berührung, in der schlichten Gewissheit: Jetzt ist es gut.

Das schreibe ich, weil ich weiß, dass ich mit all den Gefühlen und Gedanken nicht alleine bin. Und nun wisst ihr es auch.